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Die Offseason der…Thunder

von Albin Osmani (Twitter/X: @Bananenflanke2)

Herausforderungen

Die Thunder übertrafen vergangene Saison alle Erwartungen, wurden mit 57 Siegen zum #1 Seed im Westen gekürt und gingen als jüngstes Team in die Geschichte ein, das eine Playoff-Serie gewann, ehe in der zweiten Runde gegen den späteren Finalisten aus Dallas dann Schluss war. Wenn wir über Herausforderungen sprechen, sollten wir stets im Hinterkopf behalten, dass dieses Team in einer beneidenswerten Lage ist.

Franchise-Player und All-NBA First Teamer Shai Gilgeous-Alexander musste sich im MVP-Ranking lediglich Nikola Jokic geschlagen geben, Rookie Chet Holmgren zog nur gegen Victor Wembanyama den Kürzeren und Headcoach Mark Daigneault wurde mit überwältigender Mehrheit zum Coach-of-the-Year gewählt.

Das Team schien bereit für die Playoffs und hatte in der ersten Runde gegen Zion-lose Pelicans überhaupt keine Probleme. Es ist gar nicht so leicht, mit dem Finger auf ein einziges Problem zu zeigen, das zum Aus in der zweiten Runde führte. Ein Teil der Erklärung ist auf die Schwäche beim Defensiv-Rebounding zurückzuführen. In Spiel 6, dem Do-or-Die Spiel für die Thunder, griffen die Mavericks 6 Offensivrebounds in den letzten 8 Minuten des Spiels.

Es kommt auch nicht von irgendwo, dass Daigneault gegen Ende vermehrt auf das Duo Chet Holmgren/Jaylin Williams im Frontcourt setzen musste, obwohl dieses in der Regular-Season kaum getestet wurde. Hinzu kommt, dass die Entwicklung des Teams für Josh Giddey wohl etwas zu schnell vonstatten ging, sein Skillset immer redundanter und am Ende sogar schädlich für den Erfolg des Teams wurde. Zu oft war der Australier Statist in der Offense und ein Risikofaktor in der Defense. Erst im Laufe der Mavs-Serie sah sich Daigneault gezwungen, mit Isaiah Joe statt Giddey zu starten, was er zuvor in der Regular-Season meines Wissens nach nie gemacht hatte (außer in einem Spiel gegen die Clippers, als man ohne Giddey und dafür Joe in die 2. Halbzeit startete). Die Konsequenz zog man dann im Sommer und verfrachtete Giddey für Alex Caruso nach Chicago.
Dann gab es noch beim Aus in den Playoffs eine Komponente, die schwer in Zahlen zu quantifizieren ist, mir persönlich aber auffiel: Man merkte einigen Rollenspielern schon an, dass Playoffs für sie Neuland war. In der Regular-Season noch eines der besten Teams von draußen, fehlten Spieler wie Aaron Wiggins und Cason Wallace zu oft der Mut, früh genug den Dreier abzudrücken oder den Korb zu attackieren. Zu oft münzten sie die vor allem von Gilgeous-Alexander geschaffenen Advantages nicht in etwas Zählbares um. Umso ungünstiger, dass Jalen Williams als zweite Option in der Thunder-Offense mit seinem ersten Step und dem Handle große Mühe in seinen Drives hatte und definitiv keine gute Serie gespielt hat.
Der Dreier war in der Thunder-Offense aber über die ganze Saison hinweg ein Problem, das sich erst in den Playoffs richtig bemerkbar machte. Zwar hatte OKC in der Regular-Season gemäß Cleaning The Glass die drittbeste Dreierquote der Liga, in der Frequency landeten sie aber lediglich auf Platz 21 – weit weg vom späteren Meister aus Boston, bei denen 43.7% der Würfe Dreier waren.
OKC hatte ein oft zitiertes „math problem“, das eventuell auch in der kommenden Saison anhalten wird und vielleicht die momentan größte Baustelle ist. Die Thunder wurden von Dallas in gewisser Weise in für sie noch unbekannte Positionen und vor neuen Herausforderungen gestellt. Trotz den Problemen glich die Serie einem „coin flip“: Zählen wir die Punkte aller Spiele zusammen, endete die Serie 636-636. Für das Front-Office war das Beweis genug, dass man die Offseason zum ersten Mal seit Langem aggressiver angehen sollte, um das Team sportlich zu verbessern.

Zugänge

Neu im Team sind Isaiah Hartenstein (Free-Agent), Alex Caruso (via Trade mit den Bulls für Josh Giddey), Nikola Topic (Pick #12), Dillon Jones (Pick #26), Ajay Mitchell (Pick #38, Two-Way Contract) und Alex Ducas (Two-Way Contract).

Abgänge

Oklahoma verlassen haben dagegen Josh Giddey (via Trade mit den Bulls für Alex Caruso), Bismack Biyombo (FA), Gordon Hayward (Retired), Mike Muscala (Retired), Keyontae Johnson (FA), Olivier Sarr (FA) sowie Lindy Waters III (via Trade zu den Warriors für Pick #52).

Bewertung und Blick nach vorn

Die Thunder wurden spätestens nach dem Hartenstein-Signing als ein Gewinner der Offseason gesehen und mit dieser Bewertung gehe ich mit. Die Entscheidung für Topic ist keine allzu große Überraschung, wenn man bedenkt, dass das Front-Office keinen Spielertypen mehr mag als einen Spieler mit positional Size, der zum Korb ziehen und den Ball auf den Boden setzen kann. Ob Dillon Jones und Ajay Mitchell als Rookies Akzente setzen können, bleibt abzuwarten, auch wenn besonders Mitchell sich in der Preseason in die Rotation neben den Stars hineingespielt hat. Beide passen jedoch sehr gut in das Profil, das die Thunder in Guards sehen möchten und dürften vermutlich vor allem zu Beginn der Saison getestet werden, bevor die G-League Saison startet.

Eine bedeutend größere Rolle im Backcourt einnehmen wird Alex Caruso. Er wird sich in eine bereits sehr starke Defense nahtlos einfügen und mit Lu Dort am Point of Attack ein furchteinflößendes Tandem bilden. Wenn ich jetzt tippen müsste, würde ich jedoch annehmen, dass Caruso von der Bank kommen wird. Dort würde weiterhin Starter bleiben und in den meisten Spielen das schwierigere Assignment kriegen. Am Perimeter schenken sich die beiden defensiv meiner Meinung nach nicht viel, ich sehe Caruso jedoch als den kompletteren Defender an. Die Gründe, warum Caruso eher von der Bank kommen würde, sind zweierlei: Die pragmatischere Begründung ist Alter und Verletzungsanfälligkeit bei Caruso. Er war in den vergangenen beiden Saisons bei den Bulls verhältnismäßig fit, hatte davor aber mit einigen Ausfällen zu kämpfen.
Die wichtigere Erklärung liegt jedoch in der Offense. Caruso ist einer der besten Connector der Liga und nimmt dahingehend auf keine Lineups einen negativen Einfluss. Lu Dort hingegen braucht jedoch sehr gute Creator neben sich, um offensiv genügend effektiv zu bleiben. Sein Wert für das Team würde in einer Bench-Rolle meiner Meinung nach signifikant kleiner werden. Das ist zwar noch nicht in Stein gemeißelt, es sollte aber gute Gründe zur Annahme geben, dass Isaiah Hartenstein auf der 5 neben Chet Holmgren zumindest in manchen Spielen starten könnte, auch wenn die Preseason Spiele von OKC kein richtiger Indikator für diese Frage waren. Chet ermöglichte OKC letztes Jahr überhaupt eine so gute Bilanz in der Regular-Season, was auch dem geschuldet war, dass er als Dauerbrenner alle 82 Spiele gespielt hat. Sein Körper ist gewiss noch in einer Entwicklungsphase und OKC wäre vielleicht gut beraten, ihn als Roamer auf der 4 starten zu lassen und seinen Verschleiss zu reduzieren.

Schließlich wurde mit Hartenstein ein vermutlich sogar elitärer Rim-Protector verpflichtet, wenn man der EPM-Metrik Glauben schenken darf, wonach der Deutsche letzte Saison den zweitgrößten Impact der Liga hatte (so nebenbei erwähnt, Caruso landete ligaweit auf Platz 5 in defensive EPM). Man kann darüber diskutieren, ob Hartenstein pro Jahr so viel Geld wert ist, diese Diskussion ergibt aber nicht so viel Sinn. Die Opportunitätskosten ihn nicht zu holen waren größer. Erstens, weil von allen Free-Agents eventuell nur Paul George das Team noch besser gemacht hätte als Hartenstein. Zweitens war Oklahoma City nie eine beliebte Destination für Free-Agents in der Vergangenheit. Der deutsche Big-Man ist mit großem Abstand das monetär größte und qualitativ beste Free-Agent-Signing der Franchise-Historie. Viel spannender ist jedoch zu analysieren, wie Hartenstein die Thunder noch einmal um einiges variabler macht.
Mit ihm wurde die Size als größte Schwachstelle des Rosters adressiert und man stellt somit für die vollen 48 Minuten jeweils einen sehr guten Rim-Protector. Ein Luxus, den sich vermutlich kein anderes Team der Liga in dem Ausmaß leisten kann. Das ist zwar noch Zukunftsmusik, aber aus Matchup-Sicht gibt es in einem potenziellen Duell gegen die Denver Nuggets schlechtere Alternativen, als einen Hartenstein gegen Nikola Jokic zu stellen. Oder auch im Vergleich zu Dallas oder nach dem KAT Trade nun auch Minnesota bringt OKC plötzlich sehr viel Size mit.

Genauso variabel sind sie im Backcourt. Cason Wallace war bereits als Rookie ein sehr guter Connector in der Offense und Perimeter-Defender. Mit ihm, Caruso und Dort hat Daigneault im Backcourt die Qual der Wahl. Wenn Shooting gebraucht wird, ist Isaiah Joe einer der besten Volume-Shooter.
Aaron Wiggins sollte als „Jack of all trades“ Wing wieder ein fester Bestandteil der Rotation sein. Eine noch wichtigere Rolle könnte der Wing einnehmen, wenn er sein Dreiervolumen erhöht, was sein Team dringend gebrauchen könnte. Wiggins traf vergangene Saison 49% seiner Dreier in der Regular-Season, jedoch sind 4.9 Dreier auf 100 Possessions noch deutlich zu wenig. Enger wird es dieses Jahr vermutlich für Spieler wie Jaylin Williams und Kenrich Williams, außer zu Beginn der Saison, da Hartenstein die ersten zwei Monate ausfallen wird.
Besonders gespannt bin ich persönlich auf ein Small-Ball-Lineup bestehend aus SGA-Joe-Caruso-JDub-Chet, das auf dem Papier fast alles mitbringt. Steht Dort statt Joe auf der Platte, würde SGA hingegen der „schlechteste“ Verteidiger dieses Lineups sein.

Die Rotation dürfte aufgrund der Talentdichte in einem stetigen Wandel sein – ich würde aber vorsichtig annehmen, dass SGA vermehrt mit Hartenstein auf der 5 spielen wird und dafür Jalen Williams und Chet Holmgren immer zusammen auf dem Court stehen. SGA hat in der Vergangenheit oft genug sein Können darin bewiesen, auch mit etwas schlechterem Spacing nach Belieben zum Korb zu kommen und dürfte dank Hartensteins Screens auch in der Midrange an seine Spots kommen und mehr Zeit als üblich für Pullups erhalten.
Eine neue Facette dürfte das Spiel der Thunder auch dank Hartensteins Fähigkeiten als DHO-Hub in der Offense erhalten, von denen vor allem Isaiah Joe profitieren könnte. Kurzum: Die Thunder haben dieses Jahr das tiefste Roster der Franchise-Geschichte (oder zumindest seit 2012/2013) und womöglich auch das tiefste der NBA, wodurch sie potenziell für jeden Gegner gewappnet sind. Es liegt an Coach Daigneault, die richtigen Rotations im Laufe der Saison zu erforschen, bis sich ein Closing-Lineup in High-Leverage Situationen herauskristallisiert.

In einem kürzlichen von ESPN durchgeführtem Power Ranking werden die Thunder als der Favorit im Rennen um Platz eins im Westen gesehen. Das scheint derzeit der allgemeine Tenor in der NBA-Medienlandschaft zu sein und klingt angesichts der Signings in der Offseason und den Moves der Konkurrenz aus Denver und Minnesota gar nicht mal so abwegig.

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