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Die Offseason der…Grizzlies

von Patrick (Twitter/X: @PRascasse)

Blick zurück

„Home of the Blues” – so lautet einer der Spitznamen der zweitgrößten Stadt im Bundesstaat Tennessee. Die Beale Street im Herzen von Memphis war ikonisch für die Entwicklung des von Melancholie geprägten Musikstils. Wenn man über die vergangene Saison der in der Stadt beheimateten Grizzlies spricht, kann man erahnen, dass ähnlich betrübte Klänge auch aus den Tiefen des FedExForums zu hören waren. Innerhalb des Coaching Staff um Taylor Jenkins rauchten in einer verletzungsgeplagten Saison zeitweise eher die Köpfe, welche Starting-Five allabendlich auf das Hartholz geschickt wurde, als dass an Taktik und Co. der besten Fünf gefeilt wurde. Am Ende reichte es mit 33 eingesetzten Spielern (neuer NBA-Rekord!) zu einem fast schon beachtlichen 13. Platz (27-55) in der Western-Conference. Einen solch hohen Krankenstand werden wir hoffentlich nie mehr in der NBA sehen.

NBA: Memphis Grizzlies at New Orleans Pelicans

Für die Grizzlies war es definitiv ein Jahr zum Vergessen – erstmals nach dem Ende der Grit&Grind-Ära und dem Neustart mit Head-Coach Jenkins und Franchise-Player Ja Morant.
Unter der Führung beider Akteure sowie GM Zach Kleiman geht die Marschroute der Memphis Grizzlies in Richtung Title-Contender. Zweimal konnten die Bären den zweiten Platz im Westen klarmachen – inklusive Franchise-Rekord für die meisten Siege in der Regular-Season (2021-22 mit 56). In der Postseason stehen zwei Exits in der ersten Playoff-Runde und ein Ausscheiden in den Western-Conference-Semis gegen den späteren Champion aus Golden State zu Buche.

Herausforderungen

Nun gilt es für Memphis in der Saison 2024-25 dem weiterhin jungen Roster mit dem Kern um Ja Morant, Desmond Bane und Jaren Jackson Jr. den nötigen Feinschliff zu verleihen. In der noch jüngeren Garde steht das Player-Development einiger vielversprechender Prospects zu veritablen Rollenspielern auf der To-Do-Liste. Zu ihnen gehören GG Jackson II und Vince Williams Jr. auf dem Wing sowie Center Zach Edey. Eine Rolle für die Entwicklung spielt Marcus Smart, der als gestandener Veteran die nötige Erfahrung und den Biss mitbringen sollte, die er den „jungen Wilden“ einimpfen kann. Ganz ohne Fragezeichen kommt das Fernziel Titeljagd in Memphis trotzdem nicht aus.
Ich möchte mich hier in Kürze auf zwei Personalien beschränken: Eines der Sorgenkinder der letzten Saison war ausgerechnet der Franchise-Player in Grind-City. Nachdem er durch die NBA aufgrund des Posierens mit einer Schusswaffe während eines Livestreams zu Saisonbeginn für 25 Spiele suspendiert war, krönte Morant seine Rückkehr im Zuge einer 24-Punkte-Aufholjagd mit dem Game-Winner gegen die New Orleans Pelicans.

Nach neun absolvierten Partien endete seine Saison jedoch wieder abrupt aufgrund einer Schulterverletzung. In Memphis ist er die glasklare erste Option in der Offense. Er gehört zu den besten Iso-Scorern der Liga. Sein Signature-Move sind seine unwiderstehlichen Drives, die er dank überragender Athletik und Hang-Time meist spektakulär und treffsicher am Rim abschließt. Nur wenige NBA-Guards können ihm hier aktuell das Wasser reichen. Gleichzeitig bedeutet diese körperbetonte Spielweise am Korb, dass er immer am Rande einer schweren Verletzung spielt. Auch ohne die von der Covid-19-Pandemie eingeschränkten Saison 2019-20 hat Morant keine Saison mit allen 82 Spielen unter seinem Gürtel. Eine weitere Baustelle in seinem Offensivgame bleibt der Wurf. Hier stagniert seine Entwicklung. So trifft er insgesamt nur 31.8% der Dreier über seine Karriere. Dazu sind 75.5% Freiwurfquote für einen PG eine eher unterdurchschnittliche Ausbeute. Je gefährlicher sein Wurf von draußen wird, umso mehr Spacing kann er für seine Teamkollegen auf den Flügeln kreieren. Wünschen wir Morant, dass er in der anstehenden Saison durch einen verbesserten Jump-Shot auf dem Feld und weniger durch Verletzungen oder privater Vorfälle abseits des Courts auffällt.

Die alte Saison abhaken möchte wahrscheinlich auch Jaren Jackson Jr. – eine der wenigen personellen Konstanten letztes Jahr. Mehr als ihm wohl lieb war rückte er auf die Center-Position hoch. Insgesamt hat sich abgezeichnet, dass „Triple J“ auf der Fünf keine Dauerlösung für die Grizzlies ist. Offensiv bekam er wesentlich mehr den Ball in die Hand. Mit 17.6 FGA (+4.6 zur Vorsaison) war es seine beste Scoring-Saison (22.5 PPG). Sein eigentlich akzeptabler Dreier verschlechterte sich aber runter auf 32%, bei sonst 34.5% in seiner Karriere. Besonders in der Defensive haben sich die Schwächen des Konzepts mit Jackson Jr. als Center gezeigt. Trotz seiner Statur von 2.11m bei 109kg wird er direkt unter dem Korb oft overpowered. Am Brett blieb er mit 5.5 Rebounds weiterhin unterdurchschnittlich. So war es unmöglich, dass er seinen notorischen Foul-Trouble in den Griff bekommt.

NBA: Memphis Grizzlies at New Orleans Pelicans

Bezeichnend ist, dass er als Defensive Player of the Year 2023 keine Stimme für das All-Defensive-First Team 2024 und lediglich eine für das All-Defense-Second Team erhielt. Jackson Jr. besitzt sehr gute körperliche Voraussetzungen für einen Spieler seiner Größe – konkret eine unglaubliche Schnelligkeit und präzises Footwork. Defensiv ist er besser als Roamer auf der Weakside aufgehoben, ähnlich wie beispielsweise Giannis und Lopez am defensiven Ende in Milwaukee abräumen.

Zugänge

Wer aber soll nun eben jene defensiven Freiheiten für „Triple J“ schaffen? Das ist nun der Job eines 2.24m großen und 136kg schweren Kanadiers. Der 22 Jahre Zach Edey kommt als 9. Pick nach vier Jahren Spielzeit im basketballverrückten Bundesstaat Indiana am College für Purdue und als zweifacher Naismith College Player of the Year mit einigen Vorschusslorbeeren zu den Grizzlies. Erste Ansätze seines sehr guten Reboundings, defensiv wie offensiv, zeigte er bereits in Summer-League.

Liefert er zukünftig die in Memphis bitter benötigte Rim-Protection und involviert man ihn gut ins Pick-and-Roll mit Morant, könnte sich Edey als wichtiger Eckpfeiler für die Pläne der Grizzlies beweisen.
Ein weiterer interessanter Zugang, ebenso via Draft, ist der 39. Pick der Grizzlies, Jaylen Wells. Der 2.03m große Wing kommt von der Washington State University und stach hier im Wesentlichen als sehr guter Dreierschütze hervor. Weitere Zugänge sind an dieser Stelle nicht erwähnenswert.

Abgänge

Signifikante Abgänge während der laufenden Offseason hat Memphis nicht zu verzeichnen. Einzig der Trade des 22 Jahre alten Forwards Ziaire Williams zu den Brooklyn Nets ist hier zu nennen. Der 10. Pick der 2021er Draft konnte sich in Tennessee nicht durchsetzen. Yuta Watanabe verlässt die USA komplett in Richtung japanische Heimat.

Bewertung und Blick nach vorn

Wie man sieht, war Memphis in der Free-Agency nahezu unsichtbar. Das ist kein schlechtes Zeichen, denn warum auch, wenn der Kern steht? Lediglich kleinere Deals wurden abgewickelt. U.a. zog man die Team-Option über $14.8 Millionen für Luke Kennard, auf dessen hochprozentigen Dreier (45% bei mehr als 4 Versuchen pro Spiel) sich die Grizzlies nun weiter verlassen können.
Im Front-Office kann sich GM Zach Kleiman für die nächsten zwei Jahre mit Blick auf die Cap-Situation entspannt in seinen Bürostuhl zurücklehnen: In den beiden kommenden Spielzeiten wird Memphis nicht den First Apron erreichen. Alle wichtigen Spieler sind mittel- oder langfristig gebunden. Erst zur Saison 2026-27 muss entschieden werden, ob man die Team-Optionen für Edey, Williams Jr. und/oder GG Jackson zieht und vor allem ob man „Triple J“ und den dann 32-jährigen Marcus Smart via Free-Agency ziehen lässt.
Auf längere Sicht sind Morant und Bane in Memphis gebunden. Die Sperre und Verletzung Morants aus der vergangenen Saison kommt Memphis dabei fast zu Gute: Da er zuletzt für keines der drei All-NBA-Teams nominiert war, konnte Memphis ihn mit einer Designated-Rookie-Extension im Wert von $197.23 Millionen bis Sommer 2028 ausstatten – fast $50 Millionen günstiger als unter einem Supermax-Deal. Bereits seit 2022 ist auch Übungsleiter Taylor Jenkins an seinen Arbeitgeber gebunden. Länge des Deals? Unbekannt.
Voraussetzung für eine gute Saison ist in erster Linie die Gesundheit (wer hätte es ahnen können?). Stand jetzt bei Veröffentlichung des Artikels wird Coach Jenkins beim Trainingsauftakt Anfang Oktober einen komplett gesunden Kader begrüßen dürfen. Auch wichtige Rollenspieler wie Brandon Clarke kehren wieder zurück. Er wird in seine alte Rolle als Energy-Spark von der Bank zurückkehren und einige Minuten als Big in kleineren Lineups sehen.

Fluch und Segen liegen bekanntlich nah beieinander. Für Memphis könnte es sich auszahlen, GG Jackson II und Vince Williams Jr. notgedrungen ins kalte Wasser geschmissen zu haben. GG Jackson II war der 45. Pick im 2023er Draft und nutzte seine Spielzeit als Rookie sehr zu seinen Gunsten. Die Statline seiner Saison liest sich wie folgt: 14.6 Punkte, 4.1 Rebounds und 35.7% Dreierquote sowie die Nominierung ins All-Rookie-Second-Team. Der 19-jährige und große 2.06m Wing hat die Anlagen, mehr als nur ein reiner Scorer zu sein und sich als wichtiger Rollenspieler von der Bank zu etablieren.
Gleiches gilt für Vince Williams Jr. – der 47. Pick der 2022er Draft war der Herausforderung ebenfalls gewachsen und beeindruckte in seiner Sophomore-Saison auf ähnlichem Niveau wie Jackson II. Am Ende legte er durchschnittlich 10.0 Punkte, 5.6 Rebounds und 3.4 Assists bei 37.8% von Downtown auf. Jackson II und Vince Williams Jr. könnten den Memphis Grizzlies die Tiefe auf dem Flügel verleihen, die ihnen bisher immer gefehlt hat. Beide wurden mit Dreijahresverträgen zu gut $6.5 Millionen belohnt – echte Schnäppchen für die Buchhaltung der Grizzlies.

Wie man sieht, gibt es viel spielerisches Potenzial, welches Jenkins und Staff in der anstehenden Saison entfalten können. Vermutlich wird die Starting-Five in Memphis folgendermaßen aussehen: Gesetzt sind Morant, Smart und Desmond Bane auf den Guard-Positionen, Jackson Jr. rückt zurück auf die Vier und ich gehe stark davon aus, dass Zach Edey direkt den Starting-Spot auf Center zugetraut bekommt. Mit Jackson II, Williams Jr., Kennard, Clarke als auch Santi Aldama gibt der Roster eine große Variablität her. Im Zuge des berüchtigten Porziņģis-Trades und dem Abgang von Backup-Guard Tyus Jones steht jetzt Marcus Smart in den Minuten ohne Morant als Playmaker bereit. Ich bin gespannt, auf welchen Spagat sich Jenkins und die Grizzlies bei der Minutenverteilung einlassen.

NBA: Memphis Grizzlies at New Orleans Pelicans

Gründe gibt es keine in Memphis, erneut den Blues anzustimmen. Der Angriff auf die Spitze im Westen und Title-Contention ist unterdessen nicht einfacher geworden für Memphis. Alte Konkurrenten haben zwar ihren Zenit überschritten (Warriors) oder befinden sich im Umbruch (Lakers), bleiben unberechenbar (Clippers, Suns), sind genauso jung und hungrig wie die Grizzlies (Thunder, Timberwolves, Mavericks) oder haben ihr Titelfenster sperrangelweit offen (Nuggets). Sofern alle in Memphis verletzungsfrei bleiben und sich Kern wie Role-Player gut weiterentwickeln, teile ich die Meinung diverser Experten wie ESPN-Insider Tim Bontemps (NBA Insider Makes Big Statement on Ja Morant, Memphis Grizzlies) oder Dré Voigt von Got Nexxt (Fragenpod, ab Minute 12:57), dass Memphis ein Top 6 Team im Westen ist. Angesichts der traditionell starken Konkurrenz in der Western Conference, sollte dies und die Vermeidung des Play-In-Tournament der Anspruch für die kommende Saison sein. Wenn die Erwartungen aufgehen, halte ich sogar die Rückkehr zu alter Stärke für möglich. Und vielleicht schaffen es ja die Bären mit dem nötigen „Grit&Grind“ wieder an 50+ Wins zu kratzen.

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